23 März 2007

Dolores Hildago, San Miguel de Allende, ein Abstecher in die Geschichte und dann nach Mexiko Stadt

Mittwoch, den 21. März 2007
38. Tag

Der Reiseführer empfiehlt, sich auf jeden Fall die nahegelegene Stadt San Miguel de Allende anzuschauen. Wie Guanajuato ist sei eine alte spanische Kolonialstadt und war für die umliegenden Minendörfer das Handelszentrum. Bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde die Stadt komplett unter Denkmalschutz gestellt und konnte so ihren Charakter bewahren. Mit der Gründung einer Kunstakademie Ende der 30er Jahre begann die neue Zeit für San Miguel. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt bei ehemaligen amerikanischen GI's beliebt, die hier mit den Stipendien, die sie von der Armee erhielten, ihre unterbrochenen Ausbildungen viel preiswerter und in einem angenehmen Klima fortsetzen konnten. Mittlerweile ist die amerikanische Kolonie in der circa 60.000 Einwohner zählenden Gemeinde auf 12.000 Gringos angewachsen, weshalb San Miguel halbscherzhaft auch oft San Mike genannt wird.

Wir entdecken in Guanajuato ein Angebot für eine geführte Tour nach San Miguel und schlagen zu. Pünktlich um 10.30 Uhr holt uns der Kleinbus ab. (Hatte ich schon mal darauf hingewiesen, dass in diesem Land eine fast preussische Pünktlichkeit herrscht?) Unser mexikanischer Führer beginnt wenige Sekunden nach der Abfahrt zu reden und wird in den nächsten neun Stunden kaum Pausen machen. Zu jedem Hotel, zu jedem Friedhof, zu fast jedem Haus und zu allen anderen Themen hat er etwas zu sagen. Auf der Rückfahrt, wo alle schon ermattet in den Sitzen hängen, doziert er unter anderem über die mexikanische Küche und die Geschichte der Jesuiten und ihren Einfluss auf Mexiko unter den Spaniern. Gott sei Dank, verstehe ich kein Wort - ausser den paar Brocken, die mir Gerda übersetzt - und so rauscht der Sermon an mir vorbei.

Erste Station ist der Ort Dolores Hilgado. Hier wirkte der Pater Hilgado, der am 16. September 1810 den berühmten Ruf nach Freiheit "Mexicanos, viva Mexico!" von seiner Kanzel ausstiess. Damit begann die Unabhängigkeitsbewegung gegen Spanien. Noch heute wird an jedem 15. September um Mitternacht in ganz Mexiko dieser Ruf wiederholt und bildet den Auftakt zum Unabhängigkeitsfeiertag.

Hier ist nun eine kleine Abschweifung in die Geschichte Mexikos notwendig, sonst versteht man dieses Land nicht, falls man es überhaupt verstehen kann. 1519 landet Hernan Cortez in der Nähe des heutigen Vera Cruz an der Atlantikküste und erobert in der Folge das Land von den Azteken im Namen der spanischen Krone. Die Spanier bauen in den Jahrhunderten danach ein Kolonialreich auf, das neben dem heutigen Mexiko auch weite Gebiete Kaliforniens, Texas, Neu Mexikos und Utahs umfasst. Die Kolonie wird streng geführt. Handel ist nur mit Spanien erlaubt (nur einmal im Jahr läuft eine Flotte von Schiffen von Vera Cruz nach Spanien aus), alle hohen Posten sind allein in Spanien geborenen Spaniern erlaubt. In Mexiko geborene Spanier, die sogenannten Kreolen, dürfen nur nachgeordnete Posten übernehmen. Die indigene Bevölkerung wird in Halbsklaverei auf den riesigen Haciendas ausgebeutet. Man schätzt, das bei der Ankunft der Spanier mindestens 25 Millionen Indianer in Zentralmexiko lebten. Nach 300 Jahren Kolonialherrschaft war ihre Zahl auf sechs Millionen zusammengeschrumpft. Teilweise waren sie in den Eroberungskriegen gefallen, teilweise waren sie durch die schlechte Behandlung gestorben und teilweise wurden sie durch die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten getötet, gegen die sie keine Abwehrkräfte besassen.

Die Spanier gründeten hunderte von Städten, die alle nach dem gleichen Muster geplant wurden: in der Mitte eine Plaza als Zentrum, darumherum ein gitterförmiges Strassennetz. Um die alten Religionen zu verdrängen, wurden die Tempelanlagen zerstört und dafür Kirchen gebaut. Um 1800 gab es in Mexiko schon über 12.000 Kirchen. Überhaupt war die Kirche einer der grossen Nutzniesser der Kolonialzeit. Ebenfalls um 1800 herum besass die katholische Kirche mehr als die Hälfte allen Grundbesitzes und Vermögens des Landes.

Aus der knapp 300jährigen spanischen Kolonialzeit (1519 bis 1821) stammen die meisten Städte mit ihren schönen barocken Bauten. Nach dem Beginn des Unabhängigkeitskampfes 1810 brauchte Mexiko noch elf Jahre bis es schliesslich als eigenständiger Staat anerkannt wurde. Danach begannen 90 wechselvolle Jahre, in denen das Land immer wieder von Kriegen und inneren Unruhen geschüttelt wurde, in dem es aber auch teilweise den Anschluss an die Neuzeit fand und wirtschaftlich vorankam. 1877 riss Porfirio Diaz die Präsidentschaft an sich und regierte das Land diktatorisch. In seiner Amtszeit wurden rund 16.000 Kilometer Eisenbahnlinie gebaut, die Industrie blühte auf, ein Telefon- und Telegrafennetz wurde installiert und in den grösseren Städten setze ein Bauboom ein, Theater und andere aufwendige öffentlichte Bauten wurden errichtet. Doch der Preis dafür war hoch. Das schnelle Wachstum kam nur zustande, weil praktisch das ganze Land und seine Bevölkerung an ausländische Investoren verkauft wurde. Während es einer kleinen Schicht von Leuten gut ging, hatte sich für das Gros der Menschen durch die Unabhängigkeit nicht viel verändert. Die Unzufriedenheit wuchs und entlud sich schliesslich in der Revolution von 1910. Davon später mehr. (Vielleicht.)

Die Städte Guanajuato, Dolores Hildago und San Miguel de Allende, die wir in den letzten Tagen besucht haben, sind also einerseits alte spanische Kolonialstädte aus der Hochzeit der Spanier, andererseits besitzen sie auch wichtige Bauten aus den ersten Jahren der Unabhängigkeit.

Nach der Besichtigung des Geburtshauses von Pater Hildago und seiner Kirche genehmigen wir uns auf dem zentralen Platz noch ein Eis, für das die Region berühmt ist. Es gibt dutzende verschiedene Sorten zum Beispiel mit Tequila, eine leckerer als die andere. Wir entscheiden uns nach vielem Probieren für Vanille mit Rosinen, Rum und Pflaumen. Pater Hildago hat übrigens die Früchte seiner Rebellion nicht mehr ernten können. Die Spanier nahmen ihn gefangen, exekutierten ihn und spiessten seinen Kopf mehrere Jahre an einer Festungsmauer als abschreckendes Beispiel auf.

In San Miguel de Allende ist an diesem späten Nachmittag nicht viel von den Nordamerikanern zu sehen. Das Städtchen liegt ruhig in der Sonne. Nur die vielen Cafes, die besseren Restaurants und die Vielzahl von Galerien sind Indizien dafür, dass es sich nicht mehr um eine ganz normale mexikanische Kleinstadt handelt. Die Bauten und Kirchen sind grandios und die Abwesenheit von Reklameschildern, Neonleuchten und Fast-Food-Lokalen ist wohltuend. Selbst die Autobusse sind einfach nur Autobusse und keine fahrenden Werbeträger. (In solchen Momenten wird einem wieder bewusst, wie verschandelt der öffentliche Raum in Deutschland durch Reklame ist.)

Den letzten Abend in Guanajuato verbringen wir wieder in einem der vielen Gartenlokale. Trinken kühles Cerveza claro mit Limette, hören den schrammelnden Mariachi-Bands zu und versuchen, den vielen Fernsehern zu entgehen, die irgendein Fussballspiel übertragen. (Jedes Lokal und jedes Restaurant, was etwas auf sich hält, hat mindestens vier Fernseher im Gastraum stehen. Dazu noch eine Musikbox, die gerne gefüttert wird. Aus Fernsehen, Musikbox und Live-Musik ergibt sich eine Geräuschkulisse, bei der man sein eigenes Wort nicht versteht, was die Mexikaner aber nicht davon abhält, sich ohne Unterlass zu unterhalten.)

Donnerstag, der 22. März 2007
39. Tag

Reisetag. Wir fahren von Guanajuato nach Mexiko Stadt. Fünf Stunden dauert die Fahrt mit dem Bus. Wie immer ist viel freier Platz und wir können uns ausbreiten. In G. haben wir einige CD's mit mexikanischer Folklore und mexikanischem bzw. Lation Jazz gekauft und so haben wir nun den passenden Soundtrack zur Reise.

Wir kommen gegen 17 Uhr an. Von dem Moloch Mexiko Stadt ist nichts zu bemerken. Der Verkehr fliesst, der Smog hält sich in Grenzen und der Taxifahrer ist auch nett. Sogar das Hotel, das wir nach dem Reiseführer aussuchen, hat ein Zimmer frei, und so logieren wir nun mitten im alten historischen Zentrum in unmittelbarer Nähe zur Kathedrale.