Acht Jahreszeiten und sechs Stierkämpfe
Samstag, den 17. März 2007
34. Tag
Gerda meint, ihre drei Taschen, mit denen sie reist, wären noch nicht genug und so kauft sie eine Pappmachee-Figur, die erstens gross und zweitens fragil ist, also geradezu ideal für unsere Art zu reisen.
Am Abend fahren wir zur Stierkampfarena, wo ein Rodeo stattfindet. Aufgabe der Teilnehmer ist es, mindestens acht Sekunden auf dem Stier sitzen zu bleiben. 23 Reiter nehmen an dem Wettkampf teil. 23 mal 8 ist gleich 23 mal 10 gleich 230 Sekunden minus 23 mal 2 gleich 46 Sekungen gleich 230 minus 46 gleich 184 Sekunden gleich 3 Minuten und 4 Sekunden. Das eigentliche Rodeo dauert also mal gerade drei Minuten. Theoretisch. Da kaum ein Reiter es schafft, sich acht Sekunden auf dem Rücken seines Stieres zu halten, dauert das Rodeo nur eine Minute und 12 Sekunden. Womit werden die restlichen drei Stunden gefüllt? Mit einem Feuerwerk, mit einer Gruppe junger Mädchen, die in die Mitte der Arene stöckeln, dort sich einen Vortrag auf Spanisch anhören und dann wieder zurückstöckeln, mit zwei Cowboy-Clowns, die nur mässig witzig aber ziemlich ordinär sind und natürlich mit Aufsteigen auf den Stier, runterfallen und sich schnellstens aus dem Staub machen. Der Moderator redet ohne Unterlass wie ein Heizdeckenverkäufer auf Speed und als nach zwei Stunden und 54 Minuten endlich der Sieger feststeht, nehmen wir das erste Taxi, erklären dem Fahrer seine Stadt, kaufen zwei Dosen Bier und erholen uns auf unserem Balkon.
Sonntag, den 18. März 2007
35. Tag
Im Concertgebouw, wir wie Holländer sagen, gibt es zur Mittagsessenszeit die acht Jahreszeiten. Vier von Vivaldi und vier von Piazolla. Aus unbekannten Gründen spielt das Orchester nebst Solo-Geiger erst den Frühling von Vivaldi, dann den Herbst von Piazolla, dann den Sommer von Vivaldi und dann den Winter von Piazolla. Danach ist Pause. Dirigent, Solo-Geiger, Orchester und Publikum finden sich nach der Pause wieder vollständig ein und nehmen sich den Rest des Jahres vor. Am Ende ist der Applaus so gross, dass es sogar eine Zugabe gibt. Wann kommt das schon mal in der klassischen Musik vor? Gerda ist so begeistert von Piazolla, dass wir nun den Rest der Reise darauf verwenden, eine CD mit dem Stück zu finden.
Dann ist es auch schon wieder 14 Uhr und um 16.30 Uhr fängt der Stierkampf an. Unser Tag ist mal wieder kurz getaktet. Meinen ersten Stierkampf habe ich Ende der 70er Jahre in Pamplona gesehen. Mit Gabi. (Hallo Gabi, schon wieder zurück aus Florida? Schöne Grüsse von dieser Stelle.) Meinen zweiten und letzen hier in Guadalajara. Der Stierkampf hat sich genau so überlebt das Duell. Er ist ein Ritual, das ohne Beziehung zu seiner Umwelt aufrecht erhalten wird. Der Torrero stolziert in seinen engen Hosen wie ein Gockel durch die Arena, ein Männlichkeitsbild präsentierend, das selbst in der Machismo-Gesellschaft Mexikos aus der Mode kommt.
Der Stier mag ja bis zum Tag seines Kampfes ein wunderschönes Leben auf saftigen Weiden gehabt haben, sein Tod ist dafür um so brutaler. 20 bis 30 Minuten dauert ein Kampf. Der Stier wird in die Arena gelassen. Er ist völlig desorientiert - der Krach, die Menge - und stürmt auf das erste zu, was sich bewegt: ein Hilfstorrero mit einer Muerta, dem Tuch, mit dem der Stier geführt wird. Die Torreros hetzen den Stier durch die Arena, damit er müde wird. Dann kommen die Lanzenträger auf ihren gepanzertenn Pferden. Den Pferden hat man die Augen verbunden, welches Pferd würde schon freiwillig auf einen gereizten Stier zureiten. Der Lanzenträger bohrt mit seiner Lanze zwei grosse Löcher in den Nacken des Stiers. Das Blut quillt heraus und verteilt sich über die Flanken. Der Stier rammt als Dankeschön dem Pferd die Hörner in die gepolsterte Seite und wäre da nicht die Bande, das Pferd würde um geworfen. Nach den Lanzenträgern setzen die Picadores sechs Spiesse mit Widerhaken in den Nacken des Stiers. Alles, damit der Stier den Kopf nicht mehr so hoch hält und der Torrero den Todesstoss später besser vornehmen kann (und damit die gefährlichen Hörner des Stiers immer schön unten bleiben). Der Stier brüllt, stöhnt und versucht, die widerlichen Haken abzuschütteln.
Ein Torrero wird danach beurteilt, wie elegant er den Stier um seinen Körper führt. Und wie nahe. Immer wieder greift der Stier das Tuch an, den Torrero dahinter vermutend und läuft doch (fast) jedesmal ins Leere. (An diesem Nachmittag spürte jeder der drei Stierkämpfer das Horn. Alle wurden vom Stier erfasst und einer wurde so schwer verletzt, das er im Krankenhaus bleiben musste.) Jede gelungene Aktion wird vom Publikum mit einem lautstarken Olé quittiert. Mit der Zeit wird der Stier immer müder und angriffsunwilliger. Zeit, ihm den finalen Stoss zu versetzen. Der Torrero visiert mit seinem Degen eine Stelle in der Wirbelsäule an. Wenn er gut trifft, dringt der Degen bis zum Griff ein, der Stier ist tödlich verletzt und stirbt innerhalb weniger Sekunden. Wenn er schlecht trifft, und das war an diesem Nachmittag die Regel, dringt entweder der Degen nicht richtig ein und die Prozedur beginnt von vorne oder der Stier wird nicht so verletzt, dass die Wunde sofort zum Tode führt. Dann steht der Stier blutend und zitternd da, manchmal minutenlang, bis endlich die Vorderbeine wegbrechen und ein Hilfstorrero mit einem Dolch ins Rückenmark sticht, um das Tier von seinen Leiden zu befreien.
Nach sechs toten Stieren war uns für diesen Abend die Lust auf Rindfleisch vergangen.
Montag, den 19. März 2007
36. Tag
Reisetag. In vier Stunden geht es im eisgekühlten Bus von Guadalajara nach Guanajuato. Oder von der modernen 5,5 Mio-Metropole in die geruhsame koloniale Kleinstadt mit 160.000 Einwohnern. Guanajato war dank seiner Silberminen jahrhundertelang die reichste Stadt Mexikos. Nach der Ausbeutung der Minen ist nun der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle. 1988 wurde Guanajuato auf die Weltkulturerbeliste der Unesco gesetzt. Deshalb gibt es in der Innenstadt weder Leuchtreklamen noch Ampeln und auch Neubauten sind verboten. Stattdessen überwiegend autofreie Gassen, Kopfsteinpflaster, kleine Parks und schattige Plätze. Stilvolle Restaurants und Cafes reihen sich aneinander und weit und breit gibt es keinen McDonald's.
Wir verbringen den Abend in einem Restaurant am Hauptplatz. Während wir Steaks (soviel zu unserer Rindfleischabstinenz), Rotwein und Margaritas geniessen, nehmen wir den Corso der Einheimischen ab. Der ganze Ort scheint um den Platz zu flanieren: eng umschlungene Verliebte, junge Familien mit Kinderwagen und alte Ehepaare, er im Anzug, sie im Kleid und topfrisiert.
Dienstag, den 20. März 2007
37. Tag
Endlich wieder ruhig geschlafen. Doch die Ruhe hat ihren Preis. Die Dusche hat kein warmes Wasser. Neben dem Hotel gibt es eine Bäckerei und ein kleines Cafe mit einer vernünftigen Espressomaschine. Für nicht mal 50 Pesos bekommen wir Capuccino und Croissants und nehmen unser Frühstück auf der Dachterrasse des Hotels ein. Das Licht ist schon so hell, dass man ohne Sonnebrille fast erblindet.
Wir machen uns zum Mumienmuseum auf. Die Strasse führt steil bergauf und nun machen sich die 2000 Meter Höhelage doch stark bemerkbar. Oben angekommen, stellen wir fest, dass das Museum wegen Renovierung geschlossen ist. Ein guter Grund gleich ein schönes Gartenrestaurant anzusteuern und den Nachmittag ruhig angehen zu lassen.
Kurze Unterbrechung für ein wichtiges Bulletin: Mein Fuss ist wieder okay. Der Bruch ist gut geheilt, wie ich mit meinem Röntgenblick feststellen konnte. (Ich hatte ganz vergessen, dass ich die Fähigkeit des Röntgenblicks habe, seit dem ich damals in Kryptonit gebadet wurde. Wann braucht man den auch schon mal?) Dafür hat Gerda manchmal stechende Schmerzen im Rücken. Vermutlich Lungenentzündung. Ich halte euch auf dem Laufenden - ha, ha, der Ausdruck passte besser zu meinem Fuss. Wie wäre es mit dieser Umschreibung: Ich passe auf, dass dem Thema die Luft nicht ausgeht.
1 Comments:
Laut einer Statistik sind die Uhsa bisher in kein Land eingefallen, dass ein McDonalds besaß. Ob das nun zum Denken anregen sollte oder einfach nur Stumpfsinn ist, kann man sich gerne bei ein paar Margaritas durch den Kopf gehen lassen.
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